📣 Vortrag in der Verbraucherzentrale: »Geldanlage für Frauen« am 14. Mai um 18 Uhr ⇒ Jetzt anmelden


Veranstaltungen

Warenkorb

Rote Karte für Krankenkassen wegen Höchstbeiträgen bei Selbstständigen

Sind Sie selbstständig und sollen hohe Krankenkassenbeiträge trotz niedrigem Einkommen zahlen? Für das Sozialgesetzbuch sind neue Regelungen hinsichtlich der Abgabefrist des Steuerbescheids geplant. Wir haben das Wichtigste zusammengefasst und erklären, was Sie tun sollten.

Hand  mit Roter Karte

Das Wichtigste in Kürze

  1. Zukünftig werden Krankenkassen auch nach einer 3-Jahres-Frist nachgereichte Einkommensnachweise von Selbstständigen und Freiberuflern zur Berechnung ihrer Beiträge berücksichtigen müssen –auch rückwirkend für die Jahre 2018 und 2019. Die Kassen haben sich mit ihrer versichertenfeindlichen Haltung nicht durchsetzen können.
  2. Derzeit müssen Selbstständige und Freiberufler zur Beitragsberechnung ihren Steuerbescheid innerhalb von drei Jahren bei der Krankenkasse einreichen; bei Versäumnis der Frist fordern die Kassen den monatlichen Höchstbetrag von rund 1.000 Euro, ohne später nachgereichte Nachweise zu berücksichtigen.
  3. Zukünftig sollen Selbstständige auch zwölf Monate nach Fristablauf unter Vorlage des Steuerbescheids eine einkommensadäquate Neufestsetzung ihres monatlichen Kassenbeitrags beantragen können. Grundsätzlich wird gelten: Hat das Finanzamt keinen Einkommenssteuerbescheid ausgestellt, darf der Höchstbetrag nicht gefordert werden.
  4. Viele Beschwerden und das Engagement der Verbraucherzentralen haben die Gesetzesänderung bewirkt.
  5. Die Verbraucherzentrale Hamburg gibt Betroffenen konkrete Handlungsempfehlungen und unterstützt mit unabhängiger Beratung.
Stand: 07.11.2023

Bitte beachten Sie, dass dieser Artikel den Stand der Dinge zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wiedergibt. Mehr über die aktuelle Rechtslage lesen Sie in diesem aktuellen Beitrag.

Der Gesetzgeber plant eine weitreichende Klarstellung zu überhöhten Beitragsforderungen der Krankenkassen. Selbstständige, die zu Unrecht Höchstbeiträge zahlen mussten, obwohl sie keine entsprechenden Einkünfte hatten, sollen zu viel geleistete Beiträge zurückerhalten.

Die Änderungen im Fünften Sozialgesetzbuch werden voraussichtlich am 24. November 2023 im Bundesrat beschlossen. Wir hatten mehrfach auf den Missstand hingewiesen und uns für die Versicherten gegenüber Krankenkassen und der Politik stark gemacht.

Harte Frist fürs Einreichen des Steuerbescheids

Selbstständige und Freiberufler können in der gesetzlichen Krankenversicherung als freiwillige Mitglieder bleiben. Ihre Beiträge setzen die Kassen nach deren „wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit“ fest. Maßstab ist der Steuerbescheid. Da ein Steuerbescheid erst nach Ablauf eines Jahres erstellt werden kann, zahlen die Mitglieder ihre Beiträge zunächst in „vorläufiger“ Höhe anhand des geschätztem Einkommens oder laut Steuerbescheid des Vorjahres. Reichen sie später ihren Steuerbescheid ein, werden die Beiträge endgültig festgesetzt und sie bekommen entweder eine Erstattung oder müssen nachzahlen.

Seit 2018 ist der Bescheid vom Finanzamt innerhalb von drei Jahren vorzulegen. Wird die Frist verpasst, fordern die Kassen den monatlichen Höchstbetrag von rund 1.000 Euro für die Kranken- und Pflegeversicherung. Nachgereichte Steuerbescheide oder andere Einkommensnachweise werden nicht berücksichtigt. Damit haben die Krankenkassen die mitgliederfeindlichste Auslegungsweise des Gesetzes gewählt. Denn im Sozialrecht gilt grundsätzlich die richtige Entscheidung mehr als die formale Rechtmäßigkeit.

Eine völlig überschießende und ungerechte Sanktion: Denn für dasselbe Versagen zahlt der eine Versicherte nur ein paar Euro mehr, wenn er ohnehin nahe an der Beitragsbemessungsgrenze liegt. Wer aber wenig hat und den Mindestbeitrag zahlen müsste, hat sofort viele tausend Euro Schulden.

Patientengeschichte

Für Betroffene wie Herrn S. geht es oft um viele tausend Euro und ihre Existenz. Er hatte die Abgabefrist wegen einer Krankheit nur um ein paar wenige Tage verpasst. Mehr über seinen Fall lesen Sie in unserer Patientengeschichte des Monats Oktober.

Wer die Höchstbeiträge nicht zahlen kann, wird von seiner Krankenkasse nicht nur durch den Entzug des vollen Versicherungsschutzes zusätzlich bestraft, sondern baut zusätzlich einen stetig wachsenden Schuldenberg auf. Denn für jeden Monat berechnen die Kassen 1 Prozent Säumnisgebühr und der Krankenversicherungsschutz wird auf „ruhende Leistungen“ gesetzt. Ratenzahlungsvereinbarungen, die das Ruhen der Leistungen vermeiden, müssen die Kassen nicht anbieten und verweigern diese ihren Versicherten auch oft.

Wenn Mitglieder sich wehren und Widerspruch gegen den Höchstbeitragsbescheid erheben, versuchen die Krankenkassen, sie vom Widerspruchsverfahren abzuhalten. Sie behaupten, der Widerspruch sei zwecklos, weil das Gesetz eindeutig sei. Ein besonders schlechter Rat: Denn das Widerspruchsverfahren ist die Voraussetzung dafür, dass später ein Gerichtsverfahren geführt werden kann.

Situation für Selbstständige soll sich verbessern

Laut Gesetzentwurf sollen Krankenkassen bald nicht mehr den Höchstbetrag von Selbstständigen und Freiberuflern fordern können, wenn das Finanzamt noch keinen Einkommenssteuerbescheid ausgestellt hat.

Und: Wird bei fehlendem Steuerbescheid der Höchstbeitrag von rund 1.000 Euro pro Monat für die Kranken- und Pflegeversicherung von der Kasse festgesetzt, müssen Versicherte zukünftig darüber informiert werden. Anschließend bleiben ihnen zwölf Monate Zeit, um unter Vorlage des Steuerbescheids eine einkommensadäquate Neufestsetzung ihres monatlichen Kassenbeitrags zu beantragen. Bislang haben die Krankenkassen Unterlagen, die geringere Einkünfte belegen, aber nach der festgelegten Frist von drei Jahren eingereicht wurden, nicht akzeptiert.

Erfreulich ist, dass die geplanten Gesetzesänderungen auch rückwirkend gelten sollen. Für die Jahre 2018 und 2019 können selbstständige Versicherte also ebenfalls Beiträge von ihrer Krankenkasse zurückfordern, wenn das Gesetz in Kraft tritt.

Das können Versicherte jetzt tun

Sie wurden mit viel zu hohen Forderungen Ihrer Krankenkasse konfrontiert, haben Widerspruch eingereicht, geklagt oder sollen gepfändet werden? Wir geben Ihnen abhängig von Ihrer ganz persönlichen Situation konkrete Handlungsempfehlungen. Das sollten Sie bis zum Inkrafttreten des Gesetzes tun.

Sie haben noch keinen Steuerbescheid für 2020 bei Ihrer Krankenkasse eingereicht.

Senden Sie den vollständigen (!) Steuerbescheid jetzt per Einschreiben an Ihre Krankenkasse. Lassen Sie sich bestätigen, dass der Bescheid vollständig eingegangen ist und wann er eingegangen ist. Dies sollten Sie vorsorglich tun für den Fall, dass das Gesetz nicht oder erst 2024 umgesetzt wird.

Sie sind noch im Widerspruchsverfahren.

Lassen Sie sich auf keinen Fall überreden, Ihren Widerspruch zurückzunehmen. Weisen Sie die Krankenkasse darauf hin, dass es voraussichtlich zu einer klarstellenden Gesetzesänderung kommen wird und bitten Sie darum, von Vollstreckungsmaßnahmen einstweilen abzusehen. Bitten Sie auch darum, das Ruhen der Leistungen, nicht anzuordnen beziehungsweise aufzuheben. 

Voraussetzung für den Höchstbeitragsbescheid ist, dass Sie ein Schreiben der Krankenkasse erhalten haben, mit dem Sie unter Hinweis auf die Folgen aufgefordert hat, einen Einkommensnachweis zu erbringen.

Wenn Sie einen Widerspruchsbescheid erhalten, versäumen Sie die Klagefrist nicht und klagen Sie! Wir unterstützen Sie, falls Sie Fragen diesbezüglich haben. Ihre Chancen stehen auf jeden Fall gut.

Sie sind noch im Klageverfahren.

Voraussetzung für den Höchstbeitragsbescheid ist, dass Sie ein Schreiben der Krankenkasse erhalten haben, mit dem Sie unter Hinweis auf die Folgen aufgefordert hat, einen Einkommensnachweis zu erbringen. Argumentieren Sie, dass auch im Widerspruchsverfahren nachgereichte Einkommensnachweise zu berücksichtigen sind und weisen Sie auch auf das demnächst in Kraft tretende Gesetz hin.

Sie sollen gepfändet werden.

Um die Vollstreckung einer Pfändung Ihrer Beiträge abzuwenden (Krankenkassen müssen nicht erst klagen, sie können den wirksamen Bescheid sofort über das Zollamt vollstrecken lassen.), müssen Sie einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht an ihrem Wohnort stellen. Beantragen Sie 1. den Bescheid aufzuheben und 2. das Ruhen der Leistungen zu beenden.

Sie haben gezahlt oder es wurde schon vollstreckt.

Entweder stellen Sie einen Überprüfungsantrag bei Ihrer Krankenkasse. Dieser wird zum jetzigen Zeitpunkt wahrscheinlich noch nicht erfolgreich sein, aber Sie können damit die Kasse schon einmal aufmerksam machen.

Oder Sie warten noch ab: Beobachten Sie jedenfalls unsere Internetseite und die Berichterstattung in den Medien, ob das Gesetz in Kraft getreten ist. Es ist nicht sicher, dass Ihre Krankenkasse Sie dann von sich aus anschreiben und um Unterlagen bitten oder nachgereichte Unterlagen von allein berücksichtigen und überzahlte Beiträge erstatten wird.

Sie haben einen Vergleich geschlossen.

Stellen Sie einen Überprüfungsantrag bei Ihrer Krankenkasse, wenn das neue Gesetz in Kraft getreten ist.

Unser Angebot

Die Rote Karte des Gesetzgebers für die Krankenkassen war mehr als geboten. Die Kassen haben zu Unrecht nachgereichte Dokumente nicht akzeptiert und so Menschen mit ohnehin schon geringem Einkommen in die Schuldenfalle getrieben. Sie sind auch betroffen? Wir schauen uns Ihren Fall an und helfen Ihnen beim Durchsetzen ihrer Rechte. ⇒ Vereinbaren Sie online einen Beratungstermin. Oder rufen Sie uns an unter Tel. (040) 24832-130.

Bücher und Broschüren