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Pressemitteilung vom 25. April 2016

Versicherer ignorieren BGH-Urteil

Marktwächter-Erkenntnisse zeigen Verzögerungstaktik / vzbv informiert BaFin

Mehrere Lebens- und Rentenversicherer haben sich über ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) hinweggesetzt und die Rückabwicklung alter Verträge abgelehnt. Das geht aus Briefen an Versicherte hervor, die dem Marktwächter-Team der Verbraucherzentrale Hamburg vorliegen. Die Schreiben wurden über das Frühwarnnetzwerk der Verbraucherzentralen gesammelt. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat sich mit diesen Erkenntnissen nun an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gewandt.
 
Der Hintergrund: Wer zwischen 1995 und 2007 eine private Kapitallebens- oder Rentenversicherung abgeschlossen hat, kann seinem Vertrag unter bestimmten Voraussetzungen auch heute noch widersprechen – und zwar selbst dann, wenn er ihn bereits gekündigt hat. Das hatte der Bundesgerichtshof bereits 2014 entschieden (Az. BGH IV ZR 76/11, Urteil vom 7. Mai 2014) und dieses Urteil 2015 noch präzisiert (Az. BGH IV ZR 384/14, Urteil vom 29. Juli 2015). Beide Urteile sind insbesondere für Verbraucher relevant, die sich frühzeitig von ihrer Versicherungspolice getrennt haben und daher nur einen geringen Teil der eingezahlten Beiträge zurückerhalten haben. Ein nachträglicher Widerspruch kann ihnen erhebliche Nachzahlungen bringen.

Voraussetzungen für Widerspruch
Voraussetzung für den Widerspruch ist, dass der Kunde fehlerhaft oder nicht ausreichend über den Vertrag informiert wurde. Auch wenn der Verbraucher die dazugehörigen Versicherungsbedingungen oder die Verbraucherinformation nicht erhalten hat, ist der Widerspruch möglich.  
Aachen Münchner, Ergo, Generali und Provinzial berufen sich in den vorliegenden Briefen jedoch auf eine Verfassungsbeschwerde, die die Allianz eingereicht hatte. Deshalb sei es „derzeit unklar, ob das Urteil vom 7. Mai 2014 überhaupt Bestand haben wird“, heißt es im Schreiben von Ergo und sehr ähnlich auch in dem von Generali. Die Provinzial-Versicherung schreibt: „Sie werden daher sicherlich nachvollziehen können, dass wir (…) Ihre Ansprüche erst anerkennen können, wenn diese höchstrichterlich durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt wurden.“

Versicherer lehnt Ansprüche weiter ab
Am 1. März dieses Jahres hatte die Allianz öffentlich bekannt gegeben, dass sie ihre Verfassungsbeschwerde zurückgezogen hat. Trotzdem liegt dem Marktwächter-Team ein Schreiben von Generali von Mitte März vor, in dem der Versicherer weiter die Ansprüche unter Hinweis auf die Verfassungsbeschwerde ablehnt. „Juristisch ist es fraglich, ob berechtigte Ansprüche unter Hinweis auf eine anhängige Verfassungsbeschwerde abgewimmelt werden können. Unter keinen Umständen kann eine zurückgenommene Verfassungsbeschwerde als Grund dafür herangezogen werden“, sagt Sandra Klug, Juristin und Leiterin des Hamburger Marktwächter-Teams. Der Marktwächter dient als Frühwarnsystem. Um zu verhindern, dass sich dieses Geschäftsgebaren wiederholt, haben sich die Versicherungsexperten im Marktwächter Finanzen entschlossen, die Vorfälle zu veröffentlichen und durch den vzbv an die BaFin weiter zu geben. 
Betroffenen Versicherungskunden rät das Hamburger Marktwächter-Team, sich bei einer Verbraucherzentrale vor Ort unabhängigen Rat zu holen. Eine Übersicht der Beratungsstellen ist unter https://www.verbraucherzentrale.de/beratung zu finden.

Über den Marktwächter Finanzen:
Der Marktwächter Finanzen ist ein Projekt, mit dem der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und die Verbraucherzentralen den Finanzmarkt aus Perspektive der Verbraucher beobachten. Hierfür werden Beschwerden und Beratungen von Verbrauchern aus allen 16 deutschen Verbraucherzentralen über ein Frühwarnnetzwerk systematisch ausgewertet. Zudem werden empirische Untersuchungen durchgeführt. So können Schwachstellen und Fehlentwicklungen erkannt, Verbraucher frühzeitig gewarnt und Aufsichts- und Regulierungsbehörden bei ihrer Arbeit unterstützt werden. Insgesamt untersuchen fünf Schwerpunkt-Verbraucherzentralen den Finanzmarkt: Baden-Württemberg (Geldanlage und Altersvorsorge), Bremen (Immobilienfinanzierung), Hamburg (Versicherungen), Hessen (Grauer Kapitalmarkt) und Sachsen (Bankdienstleistungen und Konsumentenkredite). Der Marktwächter Finanzen wird durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) gefördert.


Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung wiedergibt.