Bunte Drops und Bärchen für die Gesundheit?
Nahrungsergänzungsmittel für Kinder sind häufig überdosiert und ein teurer Spaß. Das zeigt ein Marktcheck der Verbraucherzentralen. Sie enthalten teilweise so viele Vitamine, dass sogar die empfohlenen Höchstmengen für Erwachsene und Jugendliche überschritten werden. Die Produkte sind betroffen.
Das Wichtigste in Kürze
- Nahrungsergänzungsmittel vermitteln den Eindruck, dass sie bei Kindern die Abwehrkräfte stärken oder die Konzentrationsfähigkeit erhöhen.
- Die Verbraucherzentralen haben 33 Nahrungsergänzungen geprüft. Die Produkte sind meist zu hoch dosiert, was zu unerwünschten Wirkungen führen kann.
- Darreichungsformen wie Bärchen und bunte Comicfiguren ähneln Süßigkeiten, vermitteln Spaß und Genuss. Sie täuschen darüber hinweg, dass die Dosierempfehlungen unbedingt einzuhalten sind.
- Kinder benötigen in der Regel keine Nahrungsergänzung – weder im Kindergarten noch in der Schule. Die Mittel sollten nur auf ärztlichen Rat hin eingenommen werden.
Nahrungsergänzungsmittel für Kinder sind bei vielen Eltern beliebt. Die Produkte sollen beispielsweise die Abwehrkräfte des Nachwuchses stärken oder die Konzentrationsfähigkeit erhöhen. Die Verbraucherzentralen haben in einem Marktcheck 33 Nahrungsergänzungen für Kinder stichprobenartig überprüft. Das Ergebnis: Die Produkte sind oft zu hoch dosiert, was am Ende schlecht für die Gesundheit sein kann, sie enthalten unnötige Zutaten und ähneln in ihrer Aufmachung eher Süßigkeiten als Nahrungsergänzungsmitteln.
Zu viele Vitamine und Mineralstoffe auf dem Speiseplan
Ganze 23 der 33 (70 Prozent) der im Marktcheck untersuchten Produkte überschreiten die Vitamine- und Mineralstoff-Referenzwerte für Vier- bis Siebenjährige der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). In einem früheren Marktcheck vor fünf Jahren (2018) waren es sogar 85 Prozent. Sechs der aktuell überprüften Produkte übertreffen die vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) vorgeschlagenen Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe in Nahrungsergänzungen und weitere sieben erreichen sie fast. Insgesamt 13 der 33 Produkte (39 Prozent) erreichen oder überschreiten also sogar die Empfehlungen für Erwachsene. Dies ist besonders kritisch, denn die Höchstmengen des BfR sind für Personen ab 15 Jahren vorgesehen.
Die fettlöslichen Vitamine A oder D zum Beispiel können sich bei einer Überdosierung im Körper anreichern und sich in Form von Kopfschmerzen, Übelkeit oder Müdigkeit negativ auf die Gesundheit auswirken. Von einer generellen Vitamin-D-Supplementierung für Kinder im Alter von zwei Jahren und älter wird daher abgeraten. Hier empfehlen wir immer die Beratung durch den Kinderarzt oder die Kinderärztin.
Der Marktcheck zeigt einmal mehr: Wir brauchen dringend verbindliche Höchstmengen für Nährstoffe in Nahrungsergänzungsmitteln. Dabei müssen auch die spezifischen Bedürfnisse von Kindern berücksichtigt werden. Es braucht somit eine nach Alter differenzierte Festlegung. Bis zu einer verbindlichen Regelung sind Nahrungsergänzungsmittel für Kinder keine sichere Produktgruppe. Vor allem Produkte in Form von Bonbons oder Bärchen bergen die Gefahr, mit Süßigkeiten verwechselt und in größeren Mengen verzehrt zu werden.
Diese Produkte überschreiten die vom BfR empfohlene tägliche Höchstmenge für Vitamine und Mineralstoffe:
Produktname | Firma | Hersteller | Stoff, der die Empfehlung des BfR überschreitet* |
Aronia+ Kids | Ursapharm Arzneimittel GmbH |
Vitamin A |
Centrum Frisch & Fruchtig Lutschtabletten* |
Pfizer Consumer Healthcare GmbH |
Vitamin A |
Centrum Vita Soft Gums* | Pfizer Consumer Healthcare GmbH |
Vitamin A |
Das Originale Möllers Omega-3 Kids* |
Orkla Health AS Norwegen; Vertrieb Deutschland: Doletra GmbH |
Vitamin A |
Doppelherz®system Immun Multi-Vitamine Family* |
Queisser Pharma GmbH & Co. KG |
Vitamin A |
Doppelherz®system OMEGA-3 flüssig Family* |
Queisser Pharma GmbH & Co. KG |
Vitamin A |
GSE Kinder Vital Complex* | GSE Vertrieb Biologische Nahrungsergänzung & Heilmittel GmbH |
Vitamin B6 |
ImmunPro Kids Direktsticks |
Anton Hübner | Vitamin A |
Juice Plus Soft Chewables Fruit |
Juice Plus Company | Vitamin A (als Betacarotin) |
Juice Plus Soft Chewables Vegetable |
Juice Plus Company | Vitamin A (als Betacarotin) |
Lifeplus® Yummies | Lifeplus Europe Ltd. | Vitamin A Folsäure |
MensSana Vitaldrink Kinder* |
MensSana AG | A (Betacarotin statt Retinol) |
Multivitamin Lutschtabletten mit Apfelgeschmack für Kinder ab 7 Jahren |
Raab Vitalfood GmbH | Vitamin A Vitamin K2 |
Naturafit Kindervitamine mit Calcium* |
Naturafit GmbH | Folsäure |
Orthomol Junior C plus* | Orthomol pharmazeutische Vertriebs GmbH |
Vitamin A |
OrthomolJjunior Omega plus* |
Orthomol pharmazeutische Vertriebs GmbH |
Zink |
Salus Kindervital® Spezial-Tonikum |
Salus Haus GmbH & Co. KG |
Vitamin A |
Sanostol® Bärchen | Dr. Kade Pharmazeutische Fabrik GmbH |
Vitamin A |
Sanostol® Lutschtabletten* | Dr. Kade Pharmazeutische Fabrik GmbH |
Vitamin A |
YaYa Bären® Multivitamin |
Amapharm GmbH | Vitamin A |
*Diese Produkte haben auch 2018 schon die vom BfR empfohlene tägliche Höchstmenge für Vitamine und Mineralstoffe überschritten.
Gesundheitsangaben vermitteln oft ein falsches Bild
Die gesundheitsbezogenen Angaben, beispielsweise zur Steigerung der Leistungsfähigkeit oder Gehirnfunktion, waren bei den untersuchten Produktverpackungen zwar überwiegend zulässig, vermittelten nach unserer Auffassung aber dennoch oft ein falsches Bild. Denn Wortbestandteile werden von den Herstellern oft einfach weggelassen oder hinzugefügt und führen so zu überzogenen Versprechungen. Hier muss die Lebensmittelüberwachung genauer prüfen. Weiterhin gibt es spezielle gesundheitsbezogene Angaben für Kinder („Kinder-Claims“, nach Art. 14b HCVO). Nach Auffassung der Verbraucherzentralen sollten auf an Kinder gerichtete Produkte nur diese Kinder-Claims verwendet werden. Der Zusatz „für die ganze Familie“ oder zusätzliche Dosierempfehlungen für Erwachsene sollten nicht dazu führen, dass auf einem für Kinder vorgesehenen Nahrungsergänzungsmittel Erwachsenen-Claims verwendet werden dürfen. Die Vermischung von Kinder- und Erwachsenen-Claims auf Produkten, die sich an die ganze Familie richten, sollte unterbunden werden.
Beispiel
Der in der EU zugelassene Claim für Zink und Selen lautet: „Zink/Selen tragen zu einer normalen Funktion des Immunsystems bei“. Ein Hersteller dagegen wirbt auf der Packung mit der Aussage „Das Plus für das Immunsystem. Mit Zink und Selen“. Diese Aussage suggeriert, dass Zink und Selen das Immunsystem verbessern könnten.
Nahrungsergänzungen für Kinder sind in der Regel überflüssig
Kinder haben beim Essen und Trinken oft ihren eigenen Kopf. Eltern sind dann schnell in Sorge, dass der Nachwuchs zu wenig Nährstoffe aufnimmt, kränkelt oder in der Schule nicht mitkommt. Trotz der Nachteile wären Nahrungsergänzungen dann oft das Mittel der Wahl. Wir meinen: Es muss besser über die Risiken aufgeklärt werden, die durch die Aufnahme von Nahrungsergänzungsmitteln auftreten können. Eine ausgewogene Ernährung, ausreichend Schlaf und Bewegung an der frischen Luft sind und bleiben die Voraussetzung für eine gute Entwicklung der Kinder. Der Verzicht auf Nahrungsergänzungsmittel ist außerdem gut fürs Portemonnaie, denn die bunten Drops und Bärchen kosten auf eine Stange Geld.